ReiseberichteUnser Wohnwagen Gustav, Baujahr 1967Unterwegs

Die Nackten und die Armen sind mir die Liebsten

Auf Campingplätzen wird das fahrende Zuhause zumeist das letzte Stück per Hand geschoben und ausgerichtet. Sozusagen die letzte „Feinjustage“ für den perfekten Urlaub. Zwar gibt es mittlerweile diverse technische Hilfsmittel, wie elektrische Rangierhilfen, der Puritaner unter den Campern legt jedoch selbst Hand an.

Früher ergab sich, gerade an textilfreien Campingplätzen, ein recht bizarres Bild. Als Neuankömmling noch vollständig bekleidet, wurde man bereits während der Stellplatzsuche von zahlreichen Nackten belauert und neugierig beäugt. Kaum war der Wohnwagen vom Hacken, sprangen diese hinter den schützenden Hecken hervor, verteilten sich in einer perfekten Choreografie um den Wagen und schoben, was das Zeug hergab. Die nötigen Kommandos erteilte immer der Platzälteste, der leicht durch die sonnengegerbte Haut und der grauen Brust-, Schulter- und Rückenbehaarung erkennbar war. Man hatte das Gefühl, dass der einzige Grund ihres Aufenthaltes oder gar ihrer Existenz ein Einziger ist: uns zu helfen.

Sobald der Wohnwagen seine endgültige Position erreichte, wurde er rasch durch die Stützen erdig fixiert, alle Versorgungsleitungen verlegt, sich der Kleidung entledigt und sich mit den anderen auf die Lauer gelegt.

Während unserer Reise durch Dalmatien kamen wir in eine ähnliche Situation. Unser Wohnwagen musste bei der Abreise ein Stück per Hand geschoben werden. Wir spürten die neugierigen Blicke. Wir waren wie immer umringt. Sobald es ans Schieben ging, merken wir jedoch sehr schnell den Unterschied. Es ging ungewohnt schwer. Keine helfenden Hände. Alle, die uns vorher neugierig beäugten, waren so schnell verschwunden, wie es sonst nur Fachberater im Baumarkt fertigbringen. Etwas später wurde uns der Grund bewusst. Es war das in jeder Hinsicht betuchte Umfeld. Alle waren bekleidet und es gab fast ausschließlich Hightech-Wohnmobile in der Preisklasse eines Einfamilienhauses. Einen alten, kleinen Wohnwagen, wie der unsrige, sah man höchstens als Toilettenhäuschen oder als Notunterkunft für das niedere Gesinde, welches sich im Normalfall um die Müllentsorgung kümmern. Zum Glück waren wir recht schnell weg, bevor noch die Hunde losgelassen wurden.

Vielleicht können die Betuchten nicht mehr schieben, ihre Wohnburgen werden in der Regel nicht geschoben. Eventuell haben sich auch einfach die Hände und Arme zurückgebildet, alles möglich. Anders lässt sich dieser Akt der Unfreundlichkeit nicht erklären. Das hohe Lied der Hilfsbereitschaft ist bei Campern sehr beliebt und wird zu jeder Gelegenheit im Chor angestimmt. Hier nicht. Eventuell gibt es aber einfach nur viele Pappnasen unter den Betuchten.

Die Nackten und die Armen sind mir da lieber.

Roland

Mein Name ist Roland und ich bin kein Reise- oder Foto-Blogger, sondern von Beruf Werbefotograf, der sehr gerne und so oft wie möglich verreist. Anfänglich mein Hobby zum Beruf gemacht, mache ich jetzt meinen Beruf zum Hobby und verbinde es mit meiner Reiselust. Am liebsten verreise ich mit der besten aller Hälften: meiner Frau Iris.

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